Mittwoch, 1. März 2017
70 reicht,
älter will ich gar nicht werden. Natürlich habe ich das niemandem erzählt. Außer dem Lieblingsmenschen. Und selbst für ihn ist das schwer zu akzeptieren. Alle anderen würden mich für total verrückt erklären. Meine Eltern. Denen ich damit durch die Blume sagen würde, so alt wie Ihr seid möchte ich gar nicht werden. Meine Freunde. Deren Angst vor dem Tod zu unendlichen moralischen Diskussionen führen würde.
Aber ich habe mir das gut überlegt. 70 und Schluss. Sterben ist immer ein Verlust. Man verliert Gelegenheiten, Schönes zu erleben, verliert Zeit, um sie mit geliebten Menschen zu verbringen. Altern ist ein ebensolcher Verlust, nur kommt er schleichend. Über die Jahre werde ich verschiedene Fähigkeiten verlieren, schlechter sehen, weniger hören, mehr vergessen. Treppen nicht mehr steigen können, keine langen Spaziergänge mehr machen können, nicht mehr reisen.

Wenn ich 70 Jahre alt werde, was keinesfalls sicher ist, aber wenn, dann habe ich ein erfülltes Leben gehabt. Ich habe geliebt, bin geliebt worden, ich werde fast alles gemacht haben, was ich machen wollte. Ich werde mein Leben genossen haben. Das weiß ich, weil ich schon jetzt jeden Tag so lebe. Mit 70 zu sterben, wird keine Tragödie sein. Aber hoffentlich ein Tod in Würde.

Heutzutage machen wir alles, um unser Leben zu verlängern. Ich eingeschlossen. Ich ernähre mich zuckerfrei, trinke kein Alkohol, rauche nicht, bewege mich viel und versuche geistig fit zu bleiben. Lese viel, lerne neue Sprachen und lebe in immer wieder neuen Umgebungen. Wir klammern uns damit an eine perverse Unsterblichkeitsphantasie. Es soll immer so weiter gehen, wie jetzt. Die Falten werden entfernt oder überdeckt, die Haare gefärbt, das Fett abgesaugt.
Mit Impfungen, Antibiotika, Chemotherapien, Blutdrucksenkern und Bypässen verlängern wir unser Leben und verschieben den Tod immer weiter nach hinten. Tatsächlich steigt unsere Lebenserwartung immer weiter an. Die Verdrängung der Morbidität ist populär. Wir hoffen alle darauf, möglichst gesund immer älter zu werden und dann plötzlich, ohne großes Leid, friedvoll einzuschlafen.
Das ist eine Illusion. Wir werden zwar immer älter, aber die Fortschritte in der Medizin helfen uns nur, mit unseren Wehwehchen besser leben zu können, nicht ohne Leiden alt zu werden. Nicht der Alterungsprozess wurde verkürzt, sondern der Sterbeprozess verlängert.

Sagen wir mal, so über den Daumen, lebt die Hälfte der über 80-jährigen nur noch mit Einschränkungen. Dann könnte ich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch gesund altern – warum also die Grenze bei 70 setzen? Warum nicht so alt werden wie möglich?
Auch wenn wir gesund altern, verlieren wir im Laufe dieses Prozesses Fähigkeiten, die mir wichtig sind. Das Denken wird langsamer, das Erinnerungsvermögen schlechter, Problemlösungsfähigkeiten gehen zurück, die Kreativität sinkt. Es gibt immer wieder Ausnahmen, Menschen, die auch noch im hohen Alter Außergewöhnliches leisten. Das sind nur eine Handvoll und wie immer glauben die meisten, dass der statistische Durchschnitt nicht auf sie zutrifft und sie zu den Wenigen gehören. Nur ganz wenige können Ausnahmen sein. An diese Hoffnung klammere ich mich nicht.
Tatsächlich richten wir unser Leben unbewusst an unseren eingeschränkten Fähigkeiten aus. Wenn wir keine Bücher mehr schreiben, können wir immer noch gute Ratschläge zum Bücher schreiben geben. Wir entdecken neue Hobbies (Birdwatching!), die uns körperlich nicht mehr so stark fordern. Wenn die Augen schlechter werden, downloaden wir uns Hörbücher und sitzen stundenlang im Sessel. (Das ist eine positive Projektion. Die meisten werden ihre Zeit statt dessen mit Barbara Salesch und Günter Jauch verbringen oder wie auch immer die dann heißen mögen.)


“Death must be so beautiful. To lie in the soft brown earth, with the grasses waving above one’s head, and listen to silence. To have no yesterday, and no to-morrow. To forget time, to forget life, to be at peace.”
—Oscar Wilde, The Canterville Ghost


Also: 70. Und keine Sorge, ich werde nicht für Selbstmord plädieren, auch wenn ich Euthanasie im Extremfall für eine bedenkenswerte Alternative halte. Wie wird es also weitergehen mit 70? Statt mein Leben aktiv zu beenden, werde ich nicht versuchen, es aktiv zu verlängern. Ab 70 muss schon ein ziemlich guter Grund vorliegen, bevor ich überhaupt noch zum Arzt gehe. Und dieser Grund ist nicht länger zu leben. Ich werde zu keinen Vorsorgeuntersuchungen mehr gehen und nur noch palliative Behandlungen annehmen, wenn ich unter Schmerzen leide. Wenn ich an Krebs erkranke, werde ich die Behandlung verweigern. Ich will dann keinen Schrittmacher mehr und keinen Defibrillator. Keine Antibiotika.

Ich erwarte kein Verständnis für diesen Plan. Als Menschen haben wir einen Überlebensdrang und sind darauf programmiert, unser Leben unter allen Umständen zu erhalten. Die meisten Leser werden sich bei meinen Gedanken unwohl fühlen. Wir verdrängen den Tod nur allzu gern aus unserem Leben.
Für mich ist es wichtig einen Zeithorizont zu haben. Und das ist 2040. Das nimmt mir die Ungewissheit und Unsicherheit, die ein beliebig langes Leben hat. Es bringt mich dazu, über das Leben nachzudenken und darüber, womit ich meine Tage bis dahin füllen will.

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Sonntag, 12. Februar 2017
Erkennen
Ist es das?
Lange habe ich gesucht nach dem, was sich Bahn brechen soll, wenn man sich aus den alltäglichen Netzen befreit. Habe mit den Blogminimalistinnen gehadert, die von der Kreativität schrieben, die ja nur unter dem Clutter verschüttet sei, und verzweifelt festgestellt, dass da bei mir nichts ist.
Habe immer wieder den Blick abgewandt vom Wohin und mich dem Woher zugewendet, weiter vereinfacht, reduziert, bis ich auf einer nackten Betonplatte zu sitzen meinte und nicht wusste, wozu. Habe an mir gezweifelt, weil nach Entfernung der äußeren Schalen, zuletzt den Resten des Berufes, nichts im Kern zu sein schien, hatte mir schon erklärt, dass ich ja seit der Pubertät am Bild Beruf hänge, und damit nun auf meinen Kindheitszustand zurückfallen muss. Also sei da nichts.

Einfach, anständig, vernünftig Leben, Komplikationen vermeiden, Überflüssiges abbauen, ethisch sein, geradeaus und doch ohne anzuecken, weg vom Trubel, den kleinen Schauspielen und großen Verführungen, unbeirrt von Ablenkungen, reduziert, clean, minimal - aber ist das nicht alles nur Vorbereitung? Wird da nicht nur die Basis geschaffen für das Eigentliche? Und müsste das Eigentliche nicht aus dem freien inneren Selbst hervortreten, als Manifestation der eigenen Natur?

Doch wo? Was? Wozu? Ist da nichts??? Oder ist da doch eine Antwort, und zwar aus der Zeit vor dem Einstieg in den Karriere- und- Dukkha-Paternoster?

Nun, vielleicht - vielleicht! Die Hoffnung ist so groß dass die Furcht, es zu beschreien, noch größer wird - ist es das:
Meine Leidenschaft, das, was so lange verschüttet würde und sich nun Bahn brechen kann, ist die Lust am entdecken.

Nicht am Lernen im Sinne der schulischen, linearen, langen, festen Form, und nicht am zufälligen Wahrnehmen, sondern an der tiefen intensiven Erkenntnis der Welt, in Sprüngen der Themen, im Wechsel von Studium, Reflexion und Intuition.
Ein Treibenlassen im Fluss der Gedanken, Ideen und Interessen, wie früher als ich als Kind jede Woche mit einem neuen Stapel Bücher aus der Bücherei kam und mich fühlte, als hätte ich die Piratenhöhle geplündert.

Was habe ich denn als Kind, bevor die Karriere begann, den Horizont zu füllen, aus eigenem Antrieb gemacht, ohne die Lust zu verlieren? Gelesen. Nichts anderes hat meine Aufmerksamkeit so nachhaltig gefesselt, nichts hat mich so lange begleitet, und nota bene, dies mag die einzige Beschäftigung gewesen sein, bei der ich auf externes Feedback verzichten konnte.
Ein langfristiger, autonomer und autarker innerer Antrieb, der aus den Tiefen meiner Natur entspringt - das war es doch, was ich gesucht hatte?!

Alles andere war anders, Sport ja, aber keine Wettkämpfe, nicht zuviel. Musik, Theater - alles weniger packend, weder als Konsument, schon gar nicht als Schaffender. Politik, Macht: Fehlanzeige, weder im Sportverein, noch als Klassensprecher, erst recht nicht in Parteien das geringste Interesse an Führungspositionen. Dafür in allen Bereichen immer ein drängendes Interesse, soweit und solange es Neues, gerade spannendes zu entdecken, erkennen gab. Sobald die Erkenntniskurve abflachte oder abfiel, schwand das Interesse und damit Aufmerksamkeit, ich wendete mich anderen Bereichen zu und ließ den vorigen fallen oder verfolgte ihn lustlos aus Pflicht weiter. Klavierspielen, Handarbeit, verschiedene Sportarten, Sprachen, Hobbies: Die Erregungskurve geht steil nach oben, hohes Plateau, dann Abfall bis auf fast Vorher.

Doch das ist nur die Sichtweise der Objekte. Aus Sicht der Natur, der Leidenschaft, ist es völlig konstant: permanente Entdeckungen, ein Prozess des Erkennens, ist das Ziel. Nicht das Ergebnis, nicht ein bestimmtes Wissen oder Können, sondern das wahrnehmen der Ausdehnung des Erkennens, die Vergrößerung des Ego-Tunnels, die permanente Neuschaffung meiner Welt ist es, was meine Natur verlangt.

Nun macht das Ganze Minimalisieren Sinn: weg mit den Ablenkungen von außen, damit die Betonplatte frei ist und ich darauf mir meinem Willen und Interesse folgend bauen, studieren, erkennen und wieder wegfegen kann, was ich will!

Wozu, fragt Ihr? Was soll das ganze Durcheinanderlesen, die unzusammenhängenden Ideen, die halbgaren Konzepte, die abgebrochenen Projekte, die Viertelfähigkeiten, die brachliegenden verkümmernden Fertigkeiten? Ist das nicht alles sinnlos?

Recht habt Ihr: es ist alles sinnlos. Darum ist es gut, zu verfolgen, was nicht schadet und dabei glücklich macht.

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Dienstag, 7. Februar 2017
Morgenroutine 2.0
Beginne jeden Tag als neues Leben.
Dein Ego war weg. Der Geist hat die nächtliche Wartung und Reinigung durchgeführt.
Das Ego wird reinitialisiert beim Aufwachen.
Nicht Werkzustand, aber Neustart.

Anstatt sofort die vertrauten settings wieder zu setzen und den Cache mit dem üblichen Zeug zu füllen, lass nach dem Neustart den Cleaner laufen, installiere die Updates und öffne Dich für frischen content.

Beginne den Tag mit dem alten System in seiner aktuellsten, sauberen, neutralen, freien, offenen, leistungsfähigsten Version.

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Samstag, 4. Februar 2017
The Truth
"It is a puzzling thing. The truth knocks on the door and you say, “Go away, I’m looking for the truth”… and so it goes away. Puzzling."
Robert Pirsig

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Donnerstag, 2. Februar 2017
Identität im stabilo-fluidem Zustand
Sonne, Strand, Brandung, im Schatten exotischer Bäume sitze ich auf den ubiquitären weißen Plastikstühlen und mache nichts. Chillen, aber was ist das?

Ziel erreicht: Neue Wege entdeckt
Paradies, aber mit Entfremdungsfaktor. Tropische Insel, freundliche Menschen, Urwald mit exotischen Vögeln, fremde Küche... Und doch fühlt es sich anders an als erwartet.
Unsere Vorstellung ist eben geprägt vom Neckermannkatalog, und die Realität sieht anders aus.
Bis auf wenige konkrete Faktoren (eigentlich nur die Lage des Hauses, die Spazierengehen erschwert und der Straßenlärm) ist es hier ebenso paradiesisch wie in der kulturellen Vorlage, aber selbst nach vier Wochen bleibt dieses Gefühl, dass es an einer tropischen Küste "eigentlich anders" sein sollte.
Ich denke, das ist ein Zeichen, dass ich mein Ziel erreiche: Wohlfühlen und dabei neue Erfahrungen machen. Die Erwartungen nicht erfüllen, sondern neue Erfahrungen, Erlebnisse, Wahrnehmungen haben. Im zweiten Schritt die Gewohnheiten im Wahrnehmen, Sehen, Denken, Fühlen überschreiten, neue Wege anlegen, auf denen ich das Leben beschreite.

Gelernt: Das benötigt Energie
Dass das mehr Energie erfordert als sich auf den Autobahnen der Gewohnheiten und alten Sicherheiten des "das ist so" entlang zu wälzen, ist klar. Der Ego-Tunnel wird in neue Richtungen ausgebaut, Stützen eingezogen, neue Wegweiser werden angebracht (mein Lieblingsbeispiel ist, wie lange ich brauche, um automatisch zu erkennen, ob das ein Restaurant, ein Laden oder eine Werkstatt ist). Eine Karte wird gezeichnet und mit der bisherigen Karte verglichen.

Manchmal merke ich das Energiedefizit, z.B. wenn die Nerven etwas blank liegen und ich in meine tiefen, kindlichen, Selbst- und Verteidigungs-Muster zurückfalle.

Das Sich-Einlassen, das wirklich Wahrnehmen, das spät Schematisieren, das Annehmen und Abwarten, das Agieren statt Reagieren, das Öffnen statt Zurückweisen, all das braucht eine starke, sichere Basis.
Energie, Zufriedenheit mit sich selbst, Liebe gar, Selbstsicherheit und -vertrauen, starkes, reiches in sich Selbst Ruhen, all das beschreibt den Zustand, in dem wir die Welt frei und offen erfahren können. Wenn das vorhanden ist, habe ich die Souveränität, meine Überzeugungen in Frage zu stellen und sogar aufzugeben, ohne zu fürchten, damit einen Teil meiner Identität zu verlieren.

Erkannt: Identität braucht Stabilität und Gelassenheit
Ja, wenn ich wirklich in diesem starken Zustand bin, der zugleich perfekte Stabilität und völlige Gelassenheit, also Loslösung von mir selbst und meinen gewohnten Verhaltensmustern beinhaltet, erst dann kann ich wirklich mit und in der Welt leben, einschließlich meiner Innenwelt.
Je weiter ich mich davon entferne, desto mehr falle ich in Muster und Schemata für Erfahrung und Handlung zurück. Dann ersetzen Vorurteile Erfahrung, Aggression verdrängt Lernen, Neues, Anderes wird blockiert anstatt bereichernd integriert zu werden.
Umgekehrt ist das ebenfalls eine wertvolle Erfahrung: Wenn die Welt beginnt, hässlich, dumm, und aggressiv zu werden, dann ist das oft ein Zeichen, dass ich meinen energetischen sweet spot verlassen habe. Die Welt ist im großen und ganzen immer gleich, es ist nur meine Wahrnehmung, die schwankt. (Was nicht heisst, dass böse Menschen nicht böse handeln, und dass Mist nicht Mist wäre. All das ist allgemein und konkret wahr.) Aber wenn wir stabil und flexibel zugleich sind, dann ist Schlechtes schlecht, und das ist gut so. Sind wir instabil, schwach, müde, dann ist Schlechtes böse, bedrohlich, Anlaß zu Kampf oder aggressivem Rückzug.

Das Selbstbild: Determiniert durch die Trennung von Ich und Welt
Ich sehe Parallelen dieser Reaktionsmuster und dem Selbstbildnis der Menschen.
Eine rigide Trennung von Ich und Welt geht einher mit hoher Schematisierung. Ich hier und die Welt da draußen. Diese Trennung führt zu einem starren und sprödem Ich-Bild. Um die eigenen Definitionen, Wahrheiten und Identitäten aufrecht zu erhalten, ist ein permanentes Nachziehen der Grenzlinien nötig. Das flexiblere, fluidere Ich dagegen kann mit neuen Formen besser umgehen, mehr integrieren, Gegensätze annehmen, ohne sie aufzulösen.

Stabilo-Fluidität: Gleichgewicht der Energien
Vielleicht ist das Maß an Energie, das ich brauche, um fluide zu sein, ein Maß der verbleibenden Identifikation mit diesem herkömmlichen Ich-Welt-Bild. Vielleicht gibt es einen höheren Grad an integrierter, immanenter Stabilo-Fluidität, der im Energiegleichgewicht ist. Der Energie aus der Stabilität schöpft, um sie in der Fluidität einzusetzen. Die These scheint überzeugend. So wie eine neue Bewegungsform viel mehr Kraft erfordert, während eine perfekt eingeübte fast ohne Aufwand abläuft. Deswegen verfallen wir ja im Notlaufprogramm in die uralten eigenen Kindsmuster.
Das Stabilo-Fluide Programm verbraucht aufgrund seiner Struktur insgesamt weniger Energie als selbst das rigideste, primitivste Notlaufprogramm. Denn zum einen fallen die ganzen Fight/Flight Aktivitäten weg. Zum andern handelt es sich um eine höhere Form des Seins, und höhere Techniken funktionieren immer mit weniger Kraft. Die Kraft wird ersetzt durch Technik, dann durch Eleganz der Ausübung, am Ende durch die Schönheit dessen, das nicht anders sein kann.

Vollkommene Stabilo-Fluidität erfordert keinen Einsatz an Energie mehr sondern speist sich aus der Energie der Situation, und gewinnt hieraus weitere Energie, sei es in Form von Informationen, Ästhetik, Lebensfreude, ja sogar physisch durch perfekten Zugriff auf die vorhandenen Ressourcen des Körper-Geistes.

Also: Der Aufruf
Finde Deinen stabil-fluiden Zustand, übe zu sein, wie Du in ihm bist. Das erfordert Energie, bist Du, Dein Ego, Dein Geist, Dein Körper dieses Sein gelernt und angenommen haben. Bleib dran, gerade wenn es schwer fällt.
Nutze die Hinweise der Welt, je böser sie erscheint, desto weiter hast Du Dich wieder Deinem wahren Selbst entfernt, denn die Welt ist immer gleich.
Prüfe, wenn alles rosig ist: Wahrscheinlich blendest Du gerade viel aus - das ist ok, doch WISSE es!
Übe, denke, spüre, fühle. Öffne Dich der Welt und besonders der Welt in Dir, denn das ist die Welt, integriere alles und überwinde das Verlangen nach Klarheit, Eindeutigkeit, Sicherheit, Bestätigung, externer Validierung. All das sind in Wahrheit Ketten, die Dich an der Mole halten, wo der nächste Sturm Dich wieder zu zerschmettern droht.
Fürchte nicht, Dich zu verlieren, zu zerfliessen in der Relativität, sondern integriere Stabilität mit Flexibilität, Kraft mit Entspannung, Wissen mit Staunen, Weinen mit Lachen, Schmerz mit Dankbarkeit.
Lebe im Inbegriff Deiner Selbst in der Welt.

Zusammenfassung
Eine ausgereifte Identität braucht gleichzeitig eine stabile Basis und eine große Portion Flexibilität, die sich gegenseitig ausgleichen. In diesem Zustand können wir mit neuen Formen besser umgehen, mehr integrieren, Gegensätze annehmen, ohne sie aufzulösen.
Besteht ein Ungleichgewicht, versinken wir in gewohnten Schematisierungen und Verhaltensmustern. Wir grenzen uns von einer als bedrohlich erscheinenden Welt ab.

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Sonntag, 22. Januar 2017
Morgen wieder lustig
Gestern erschien mir die Welt noch bunt und fröhlich. Ich saß auf dem Balkon und hörte in den Pausen vom Verkehrslärm das Meer. Hörte, wie die kleinen Wellen die dicken runden Steine, die am und vor dem Strand gemütlich in der Sonne liegen, umschäumen. Und dann gelassen an den kleinen, weißen Sandstrand plätschern, an dem ihnen ein paar Bäume Schatten zuwerfen.
Heute ist das alles weg. Ich höre die LKWs beim Schalten stöhnen, die Mopeds knattern. Das Meer hat ist irgendwie mehr grau als blau und die Sonne blendet.

Wie kann das sein? Eigentlich gar nicht, es ist dieselbe Welt, derselbe Ausblick von meinem Lieblingsplatz auf dem Balkon. Das Meer, der Strand, die Straße - alles unverändert. Es sind meine Gedanken, die die Welt zu dem machen, was ich sehe.

Genauso wie ich manchmal das Gefühl habe, von lauter Idioten umgeben zu sein, während der Lieblingsmensch nur nette, vielleicht etwas schüchterne Menschen sieht. Oder umgekehrt.

Das alles findet nur in meinem Kopf statt. Ich mach' mir die Welt - nur nicht immer, wie sie mir gefällt. Viele Jahre habe ich geglaubt, hier liege der Knackpunkt zum Glück. Ich müsste mir die Welt nur schön denken, fest daran glauben und alles Negative ausblenden. Aber ich kann meine Gedanken nicht beherrschen. Die Gedanken sind frei, ja frei zu kommen und zu gehen und an rosa Elefanten zu denken, auch wenn ich das gar nicht will. Und hierin liegt der Trost: Auch die negativen Gedanken gehen wieder, morgen sehe ich den Himmel wieder blau - oder in einer ganz anderen Farbe. Es hat keinen Sinn, dagegen anzukämpfen, keinen Sinn sich etwas schön zu reden oder zu denken. Heute melancholisch? Gut, dann ist das eben so. Dann ist heute eben ein Tag für Sofa und gebrannte Mandeln, für ein Buch und vielleicht einen Spaziergang. Morgen wieder lustig. Oder wann auch immer.

Ich kann die Welt, wie ich sie sehe, nicht ändern. Ich kann meine Gedanken nicht beeinflussen, aber ich weiß, dass Ich, mein wirkliches Ich, nicht nur aus Gedanken besteht. Ich weiß das deshalb, weil ich sie beobachten kann. Zuschauen kann, wie sie vorbei fliegen, wie nächtliche Schatten. Es gibt also noch ein Ich außerhalb der sich ständig in Bewegung befindlichen Gedanken, die das Leben in einem Moment lebenswert erscheinen lassen und genießen und im nächsten Moment alles skeptisch hinterfragen und grau in grau sehen. Hierhin kann ich mich zurückziehen, hier herrscht Ruhe und Frieden. Mein ewiges Ich hat mit der Welt da draußen überhaupt nichts zu tun. Es ist vom Alltag völlig losgelöst und gleichzeitig verbunden mit allen Dingen. Es spürt keine Freude und keine Trauer, es schaut gelassen und in völliger Harmonie auf den Lauf der Dinge.

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