Samstag, 4. Februar 2017
The Truth
"It is a puzzling thing. The truth knocks on the door and you say, “Go away, I’m looking for the truth”… and so it goes away. Puzzling."
Robert Pirsig

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Donnerstag, 2. Februar 2017
Identität im stabilo-fluidem Zustand
Sonne, Strand, Brandung, im Schatten exotischer Bäume sitze ich auf den ubiquitären weißen Plastikstühlen und mache nichts. Chillen, aber was ist das?

Ziel erreicht: Neue Wege entdeckt
Paradies, aber mit Entfremdungsfaktor. Tropische Insel, freundliche Menschen, Urwald mit exotischen Vögeln, fremde Küche... Und doch fühlt es sich anders an als erwartet.
Unsere Vorstellung ist eben geprägt vom Neckermannkatalog, und die Realität sieht anders aus.
Bis auf wenige konkrete Faktoren (eigentlich nur die Lage des Hauses, die Spazierengehen erschwert und der Straßenlärm) ist es hier ebenso paradiesisch wie in der kulturellen Vorlage, aber selbst nach vier Wochen bleibt dieses Gefühl, dass es an einer tropischen Küste "eigentlich anders" sein sollte.
Ich denke, das ist ein Zeichen, dass ich mein Ziel erreiche: Wohlfühlen und dabei neue Erfahrungen machen. Die Erwartungen nicht erfüllen, sondern neue Erfahrungen, Erlebnisse, Wahrnehmungen haben. Im zweiten Schritt die Gewohnheiten im Wahrnehmen, Sehen, Denken, Fühlen überschreiten, neue Wege anlegen, auf denen ich das Leben beschreite.

Gelernt: Das benötigt Energie
Dass das mehr Energie erfordert als sich auf den Autobahnen der Gewohnheiten und alten Sicherheiten des "das ist so" entlang zu wälzen, ist klar. Der Ego-Tunnel wird in neue Richtungen ausgebaut, Stützen eingezogen, neue Wegweiser werden angebracht (mein Lieblingsbeispiel ist, wie lange ich brauche, um automatisch zu erkennen, ob das ein Restaurant, ein Laden oder eine Werkstatt ist). Eine Karte wird gezeichnet und mit der bisherigen Karte verglichen.

Manchmal merke ich das Energiedefizit, z.B. wenn die Nerven etwas blank liegen und ich in meine tiefen, kindlichen, Selbst- und Verteidigungs-Muster zurückfalle.

Das Sich-Einlassen, das wirklich Wahrnehmen, das spät Schematisieren, das Annehmen und Abwarten, das Agieren statt Reagieren, das Öffnen statt Zurückweisen, all das braucht eine starke, sichere Basis.
Energie, Zufriedenheit mit sich selbst, Liebe gar, Selbstsicherheit und -vertrauen, starkes, reiches in sich Selbst Ruhen, all das beschreibt den Zustand, in dem wir die Welt frei und offen erfahren können. Wenn das vorhanden ist, habe ich die Souveränität, meine Überzeugungen in Frage zu stellen und sogar aufzugeben, ohne zu fürchten, damit einen Teil meiner Identität zu verlieren.

Erkannt: Identität braucht Stabilität und Gelassenheit
Ja, wenn ich wirklich in diesem starken Zustand bin, der zugleich perfekte Stabilität und völlige Gelassenheit, also Loslösung von mir selbst und meinen gewohnten Verhaltensmustern beinhaltet, erst dann kann ich wirklich mit und in der Welt leben, einschließlich meiner Innenwelt.
Je weiter ich mich davon entferne, desto mehr falle ich in Muster und Schemata für Erfahrung und Handlung zurück. Dann ersetzen Vorurteile Erfahrung, Aggression verdrängt Lernen, Neues, Anderes wird blockiert anstatt bereichernd integriert zu werden.
Umgekehrt ist das ebenfalls eine wertvolle Erfahrung: Wenn die Welt beginnt, hässlich, dumm, und aggressiv zu werden, dann ist das oft ein Zeichen, dass ich meinen energetischen sweet spot verlassen habe. Die Welt ist im großen und ganzen immer gleich, es ist nur meine Wahrnehmung, die schwankt. (Was nicht heisst, dass böse Menschen nicht böse handeln, und dass Mist nicht Mist wäre. All das ist allgemein und konkret wahr.) Aber wenn wir stabil und flexibel zugleich sind, dann ist Schlechtes schlecht, und das ist gut so. Sind wir instabil, schwach, müde, dann ist Schlechtes böse, bedrohlich, Anlaß zu Kampf oder aggressivem Rückzug.

Das Selbstbild: Determiniert durch die Trennung von Ich und Welt
Ich sehe Parallelen dieser Reaktionsmuster und dem Selbstbildnis der Menschen.
Eine rigide Trennung von Ich und Welt geht einher mit hoher Schematisierung. Ich hier und die Welt da draußen. Diese Trennung führt zu einem starren und sprödem Ich-Bild. Um die eigenen Definitionen, Wahrheiten und Identitäten aufrecht zu erhalten, ist ein permanentes Nachziehen der Grenzlinien nötig. Das flexiblere, fluidere Ich dagegen kann mit neuen Formen besser umgehen, mehr integrieren, Gegensätze annehmen, ohne sie aufzulösen.

Stabilo-Fluidität: Gleichgewicht der Energien
Vielleicht ist das Maß an Energie, das ich brauche, um fluide zu sein, ein Maß der verbleibenden Identifikation mit diesem herkömmlichen Ich-Welt-Bild. Vielleicht gibt es einen höheren Grad an integrierter, immanenter Stabilo-Fluidität, der im Energiegleichgewicht ist. Der Energie aus der Stabilität schöpft, um sie in der Fluidität einzusetzen. Die These scheint überzeugend. So wie eine neue Bewegungsform viel mehr Kraft erfordert, während eine perfekt eingeübte fast ohne Aufwand abläuft. Deswegen verfallen wir ja im Notlaufprogramm in die uralten eigenen Kindsmuster.
Das Stabilo-Fluide Programm verbraucht aufgrund seiner Struktur insgesamt weniger Energie als selbst das rigideste, primitivste Notlaufprogramm. Denn zum einen fallen die ganzen Fight/Flight Aktivitäten weg. Zum andern handelt es sich um eine höhere Form des Seins, und höhere Techniken funktionieren immer mit weniger Kraft. Die Kraft wird ersetzt durch Technik, dann durch Eleganz der Ausübung, am Ende durch die Schönheit dessen, das nicht anders sein kann.

Vollkommene Stabilo-Fluidität erfordert keinen Einsatz an Energie mehr sondern speist sich aus der Energie der Situation, und gewinnt hieraus weitere Energie, sei es in Form von Informationen, Ästhetik, Lebensfreude, ja sogar physisch durch perfekten Zugriff auf die vorhandenen Ressourcen des Körper-Geistes.

Also: Der Aufruf
Finde Deinen stabil-fluiden Zustand, übe zu sein, wie Du in ihm bist. Das erfordert Energie, bist Du, Dein Ego, Dein Geist, Dein Körper dieses Sein gelernt und angenommen haben. Bleib dran, gerade wenn es schwer fällt.
Nutze die Hinweise der Welt, je böser sie erscheint, desto weiter hast Du Dich wieder Deinem wahren Selbst entfernt, denn die Welt ist immer gleich.
Prüfe, wenn alles rosig ist: Wahrscheinlich blendest Du gerade viel aus - das ist ok, doch WISSE es!
Übe, denke, spüre, fühle. Öffne Dich der Welt und besonders der Welt in Dir, denn das ist die Welt, integriere alles und überwinde das Verlangen nach Klarheit, Eindeutigkeit, Sicherheit, Bestätigung, externer Validierung. All das sind in Wahrheit Ketten, die Dich an der Mole halten, wo der nächste Sturm Dich wieder zu zerschmettern droht.
Fürchte nicht, Dich zu verlieren, zu zerfliessen in der Relativität, sondern integriere Stabilität mit Flexibilität, Kraft mit Entspannung, Wissen mit Staunen, Weinen mit Lachen, Schmerz mit Dankbarkeit.
Lebe im Inbegriff Deiner Selbst in der Welt.

Zusammenfassung
Eine ausgereifte Identität braucht gleichzeitig eine stabile Basis und eine große Portion Flexibilität, die sich gegenseitig ausgleichen. In diesem Zustand können wir mit neuen Formen besser umgehen, mehr integrieren, Gegensätze annehmen, ohne sie aufzulösen.
Besteht ein Ungleichgewicht, versinken wir in gewohnten Schematisierungen und Verhaltensmustern. Wir grenzen uns von einer als bedrohlich erscheinenden Welt ab.

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Mittwoch, 25. Januar 2017
Ich bin im Dschungelcamp und will gar nicht raus
Grüße aus dem Jungalow! Was das ist, fragst Du? Ganz einfach: Einen Jungalow hast Du, wenn der Dschungel zu Dir ins Haus kommt. Wie zum Beispiel gestern abend: Zwei Skorpione im Schlafzimmer, der eine handflächenlang. Oder vorgestern auf der Terrasse: Eine Boa, unterarmdick.

Außerdem: Ein Äffchen, das Baumfrüchte aufs Blechdach wirft, ein Kolibri, der die Hibiskus-Hecke besucht und ein Streifenhörnchen, dass die Kokosnüsse in der Palme anknabbert. Und natürlich der Leguan, der ums Haus schleicht und die gefühlt tausend Geckos, die im Haus alles vollkacken.

Aber auch: Der Lärm. Von wegen Ruhe und Frieden. Die Zikaden zetern, die Geckos schnattern, die Brüllaffen brüllen. Das Meer rauscht nicht romantisch, die Dünung dröhnt und der Ventilator schleift und knarzt. Ich brülle ins Telefon, um all das zu übertönen.

Hinter mir: Steil ansteigender, dichter Dschungel, vor mir: Das Meer mit seinen Wahnsinns-Sonnenuntergängen. Ich in der Hängematte. Ein Jungalow - ein Haus im Paradies?

Die Klospülung ist kaputt, die Waschmaschine funktioniert nicht, die Steckdosen arbeiten nach dem Zufallsprinzip und die Moskitonetze sind löchrig. Sieht so das Paradies aus?

Ich weiß es nicht. Tagsüber ist es unbeschreiblich schön. Der unendlich lange Strand, gesäumt von einem Palmenhain, hinter dem sich ein paar staubige Geschäfte mit Surfer-Ausrüstung und Cafés verstecken. Die schäumenden Wellen des warmen Pazifiks, die eine fast magische Anziehungskraft haben. Ein Leben draußen, ohne Klimaanlage, ohne Gänsehaut.

In der Dunkelheit aber, da kommen die Zweifel. Was War das für ein Geräusch? Kommen Skorpione auch ins Bett? Ist das Loch am Dachbalken groß genug für Ratten? Mitten in der Nacht liege ich schweißüberströmt und hellwach im Bett. Die Fensteröffnungen sind nur mit Moskitonetz verschlossen und fremde Schatten bewegen sich im Mondlicht.

Am nächsten Morgen: Der Himmel färbt sich langsam rosa, der Vollmond versinkt still im Meer, Buchten und Berge tauchen auf und ein erster Sonnenstrahl trifft eine schaumgekrönte Welle. Ich will hier nicht weg. Holt mich hier nicht raus.

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